Der Modellbau in der Flasche
Das Flaschenschiff „S.M.S. Carola“
Daten zum Glanzstück des Monats Oktober
Flaschenschiff „S.M.S. Carola“
Datierung: 1886 in Hongkong
Länge: 30 cm
Flaschenboden: 8 cm
Material: Holz und Glas
Inv. Nr.: X-124
Ersterfassung: 15.10.1960
Provenienz: Altbestand
Über dieses Glanzstück
Mit Detailtreue, Beharrlichkeit und viel Geduld – so entstehen Buddelschiffe. Heutzutage sind sie maritime Mitbringsel vom letzten Urlaub an der Küste. Sammler hingegen würden den Wert von manch einem Schiff in der Flasche viel höher bemessen. Gleichwohl handelt es sich bei der hier vorgestellten, nicht alltäglichen Flaschenpost um mehr als nur ein beiläufiges Souvenir: das Buddelschiff „S.M.S. Carola“ ist vor allem auch ein Zeitzeuge.
Doch was sind Buddelschiffe?
Flaschenschiffe, oft auch Buddelschiffe genannt, sind kleine handgefertigte Modelle eines Schiffes, meist eines Segelschiffes, in einer Glasflasche. Das Buddelschiff mit dem Vorbild der Schiffskorvette „SMS Carola“ wurde, laut der Inschrift auf dem Flaschenboden, im Jahr 1886 in Hongkong angefertigt – fünf Jahre später als das lebensgroße Original. Für „10 Cents, etwa 30 Pfg.“ konnte das charmante Andenken erworben werden und daheim fortan an die schöne Urlaubszeit erinnern. Wie die Korvette in der 1,5 Liter-Flasche genau nach Europa kam, ist nicht bekannt. In den Unterlagen des Museums ist lediglich die Tatsache notiert, dass sie Teil der Sammlung der Gebrüder Clemens (1852 -1929) und Gustav (1856-1917) Denhardt ist. Somit liegt die Schlussfolgerung nahe, dass das Buddelschiff durch eine ihrer Reisen in unsere Region kam.
Das Schiff „SMS Carola“ war eine Glattdeckskorvette der ehemaligen Kaiserlichen Marine. Benannt wurde sie nach der letzten sächsischen Königin Carola von Wasa-Holstein-Gottorp. Der Begriff „Korvette“ ist seit dem 18. Jahrhundert die übliche Bezeichnung für eine Reihe von Typen kleiner Kriegsschiffe. Insgesamt ähnelten die Schiffe aber noch stark den Korvetten der Segelschiffszeit. Demnach war die SMS Carola ein Dreimast-Vollschiff mit zusätzlichem Dampfantrieb. Zudem besaß sie eine aus Ringkanonen bestehende Bewaffnung auf beiden Seiten des Oberdecks. Neben ihren Schwesternschiffen SMS Olga, SMS Marie und SMS Sophie war sie das Erste der vier Schiffe der Klasse „Carola“. Gebaut wurde sie bei der Vulcan-Werft in Stettin, von wo die „Carola“ am 29. Juli 1881 vom Stapel lief. Insgesamt war das Schiff 75 Meter lang sowie 14 breit und mit einer maximalen Geschwindigkeit von 12 Knoten auf den Weltmeeren unterwegs. Einen Tiefgang hatte sie von circa 5,80 Meter. Zunächst wurde der Dreimaster ausschließlich im Südseeraum eingesetzt. Ab dem Jahr 1890 war das Schiff dann an der Küste Ostafrikas stationiert. Dort blieb sie aber nur drei Jahre, da sie ab 1893 als Artillerie-Schulschiff eingesetzt wurde. Im Jahr 1906 ist sie durch den Kleinen Kreuzer „SMS Undine“ abgelöst, verkauft und kurz darauf in Hamburg abgewrackt worden.
Flaschenschiffe – jeder kennt sie, aber wie kommen die winzigen Schiffsmodelle in eine Flasche?
Die Antwort auf diese Frage ist recht einfach: das Schiff wird außerhalb der Flasche komplett fertiggestellt und in dem Prinzip der traditionellen Zugtechnik durch den Flaschenhals in das Gefäß geschoben. Danach wird der Rumpf auf dem „Buddelozean“ fest verleimt und die Masten mitsamt der Takelage und den Segeln vom Rumpf aus aufgerichtet. Mit Hilfe von langen Haken und Zangen, welche durch Drahtscharniere an dem Schiffsrumpf befestigt sind, wird das Schiff aufgestellt. Nach und nach entsteht so das kleine, in Geduldsarbeit gefertigte Kunstwerk. Diese Technik erlaubt es, äußerst detaillierte Darstellungen eines Schiffes nachzubilden.
Die ältesten erhaltenen Buddelschiffe stammen um das Jahr 1760. Dabei handelt es sich um sehr aufwendige Handarbeiten, die vermutlich als Geschenke für Könige, ausgezeichnete Admirale und Adligen bei gewerblichen Schiffsmodellbauern in Auftrag gegeben wurden. Ähnliche Formen lassen sich zu der Zeit bereits auch im Erzgebirge, Tirol oder Österreich finden. Dort haben zeitgleich die sogenannten „Geduldsflaschen“ Furore gemacht. Diese zeigten jedoch kein maritimes Szenario, sondern vornehmlich religiöse Motive, welche in der „guten Stube“ wohlüberlegt positioniert wurden.
Die Tradition des maritimen Flaschenschiffbaus hat ihren Ursprung erst 100 Jahre später, um das Jahr 1850. Damals kamen die ersten durchsichtigen Getränkeflaschen kostengünstig in den Handel, wodurch sie auch für einfache Seeleute erschwinglich waren. Diese nutzten die wenigen Materialien und Werkzeuge, wie Holz, Garn und Tauwerk, Kitt auf den Walfängern, sowie Knochen und Zähne von Walen und Robben, um sich an Bord des Schiffes mit dem Modellbau die Zeit zu vertreiben. Aufgrund dessen ist es verständlich, dass diese Seemannsarbeiten relativ grob und bescheiden gestaltet waren. Im Laufe der Zeit verfeinerte sich die Technik wie auch das Können zunehmend. Die Seeleute wählten nun als Motiv oftmals ihr eigenes Schiff oder die jeweilige Hafenlandschaft aus. Infolgedessen sind die kleinen Kunstwerke auch stets ein Zeugnis der jeweiligen Zeit und deren Vorlieben. Die Tradition des Flaschenbaus unter Seeleuten lässt sich nicht, einer bestimmten Nation zuordnen. Vielmehr gab es zeitgleiche, separate Entwicklungen auf allen Weltmeeren. Dazu kommt, dass sich durch den regen Erfahrungsaustausch in allen Häfen das Wissen und die Erkenntnisse zunehmend vermischten. Heutzutage werden jedoch die meisten Buddelschiffe wieder an Land zu touristischen Zwecken gefertigt. Gleichwohl sind sie in allen Jahrhunderten stets das Andenken an ein besonderes Erlebnis geblieben.
Text: Nadine Neumann
Fotos: Nadine Neumann / © MSMZ