Verbotene Souvenirs made in Nippon
Zwei japanische „Tantos“
Daten zum Glanzstück des Monats Juli
Zwei Dolche, gebraucht
Mehrteilig, Stahl, Messing, Holz, Walknochen; unvollständig
Ende Meiji-Zeit (1868 – 1912), ca. 1910
Länge mit Saya 29 cm; Länge ohne Saya 26 cm; Länge Griff 10 cm; Länge Klinge 21,5 cm; Breite 2,5 cm (beide)
Inv.Nr. X – 134 a, b, c und X-154 a, b, c
Provenienz: Altbestand Altertumsverein Zeitz / Frau Eisfeld (aus Zeitz) abgegeben am 05. Oktober 1955.
Ersterfassung: 18. Oktober 1960
Über dieses Glanzstück
Ein fremdes Land, eine fremde Kultur. Nach der Öffnung des Landes zur westlichen Welt hin unter Kaiser Mutsuhito (Meiji-Zeit 1868-1912) erlebte Japan seine ersten Touristen, die aus reiner Neugier und Reiselust aus Europa ins Land der aufgehenden Sonne kamen. Diese wollten nicht das „neue Japan“ erleben, sondern das traditionelle, das exotische mit Kriegerkaste, Kaiser und Kimono. Auch sie wollten diese Exotik mit in die ferne europäische Heimat zurücknehmen und brachten dem Geldbeutel entsprechende Souvenirs mit. Die hier vorgestellten Messerartigen „Tantos“ sind ein solches Beispiel für touristisches Kunsthandwerk. Es handelt sich um zwei Dolche aus der endenden Meiji-Zeit.
Die Exponate bestehen jeweils aus fünf bzw. sechs Teilen – Dolchklinge mit Angel, Scheide (Saya), Stichblatt (Tsuba), einer Klingenzwinge, dem Griff (Tsuka) und einer Trageöse. Sowohl die Messer als auch die Messerscheiden sind mittel bis stark abgebraucht. Die Stichwaffen haben eine sogenannte flache „hira-zukuri“-Klingenform, d.h. ohne einen Grat. Diese war besonders bei Kurzschwertern und Dolchen vom 13. bis zum 19. Jh. verbreitet. Die Klingen weisen deutliche Gebrauchsspuren auf. Ursprünglich waren sie in die Tsuka und die Saya eingeklebt.
Beide Saya sind gefertigt aus figürlich beschnitztem und teilweise schwarz gefasstem Walbein. Der Karpfenmaulartige Einsatz an der Scheidenöffnung ist aus Holz, die Halterung (nur vorhanden bei X-154) aus Horn oder Bein. Bei Exponat X-154 ist die Messerscheide im oberen Teil circa 6,5 cm eingerissen, beim anderen Dolch ist sie vollständig intakt. Eine Kappe/Spitze zum Verschluss der Scheide fehlt jeweils. Die nackten Dolchangeln haben die Form eines Fasanenschwanzes. Darauf fixierte Hinweise, die auf den Herstellungsort oder Schmied verweisen, sind nicht vorhanden bzw. fehlen grundsätzlich.
Beide Messer verfügen jeweils nur über eine Messing-Klingenzwinge. Da aber bei beiden Exponaten zudem die Unterlegscheiben oder eine weitere Zwinge fehlen, bewegen sich die Klingen unterschiedlich stark zwischen Griff und Scheide. Die Stichblätter (Tsuba) sind ebenfalls aus Walknochen, beschnitzt und mit schwarzer sowie hellbrauner Farbe verziert. Bei X-154 weist sie zusätzlich Reste von Kleber auf und ist in zwei Teile zerbrochen. Im Gegensatz dazu ist bei Exponat X-134 das Stichblatt in einem Stück vorhanden. Die Griffe bestehen ebenfalls aus dem gleichen Material wie die Messerscheiden. Sowohl auf dem Griff als auch auf der Saya sind die gleichen Motive vorhanden und zeigen Figuren des Alten Japans sowie Landschaften und Ornamente. Bei Dolch X-154 fehlt der Griffknauf, beim zweiten Tanto ist der Griff mit einem einfach gestalteten Knauf geschlossen.
Solch ähnliche Tantos trugen Frauen und Reisende bei sich, um im Notfall sich selbst verteidigen zu können. Vor allem die Ehefrauen und Töchter der Kriegerkaste trugen sie beim Verlassen des Hauses am Körper. Den Samurai selbst diente das Tanto als Hilfswaffe, gemeinsam mit dem Kurz- und dem Langschwert schob der Kämpfer es einfach durch den Gürtel. Ein Dolch war demnach mehr als nur ein Accessoire am Gürtel des Kimonos in Friedenszeiten. Ebenfalls wurden Tantos umgangssprachlich und aus Unwissenheit in Europa als „Harakiri-Messer“ bezeichnet. Ähnlich wie das Wakizashi (Kurzschwert) wurden auch Tantoklingen beim Seppuku, dem rituellen Selbstmord der männlichen Samurai, benutzt. Für dieses Ritual wurden spezielle, besonders für die Familie wertvolle Klingen benutzt ohne Griff. Seit 1868 war der Seppuku jedoch verboten, ebenso das Tragen oder Schmieden von Schwertern, die Samurai als Kriegerelite aufgelöst. Nur noch den Offizieren der japanischen Armee war das Tragen von Militärwaffen – inklusive das von Säbeln und Messern- erlaubt. Viele japanische Soldaten führten ähnliche Messer noch im Zweiten Weltkrieg bei sich.
Die beiden Dolche hier waren nicht für den Seppuku weder gedacht noch geeignet. Sie wurden für den touristischen Markt um die Jahrhundertwende hergestellt. Sie waren funktionstüchtig, aber eben nur ein Gebrauchsgestand für den Alltag und/oder ein Andenken. Ihre Verarbeitung deutet ebenfalls daraufhin. Die Klingen sind nicht vergleichbar hergestellt wie die von anderen japanischen Stichwaffen. Ebenso ist es auch ein Hinweis auf eine minderwertigere Verarbeitung die Verwendung von nur einer Klingenzwinge, ebenso der Kleber zur Befestigung der Stichblätter. Allein die Tatsache, dass man ein japanisches Messer besaß, war ausschlaggebend für den Besitzer, nicht die Funktion des Dolches. Zudem war es für die arbeitslosen Schwertschmiede nach 1868 z. B. die Herstellung von Souvenirs als Einkommen enorm wichtig. Bis 1939 wurden diese Messer überall in Japan produziert. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurde die Herstellung ganz verboten und ein Verkauf galt als illegal. Für die japanische Kultur sind diese Dolche aber ein wichtiges Zeugnis für den Wandel der Gesellschaft nach der Meiji-Restauration, da sie von einem traditionellen Handwerk des Alten und zugleich von der neuen Orientierung des modernen Japans zeugen.
Die Exponate sind bisher nicht in den Ausstellungsräumen der Moritzburg zu sehen. Sie wurden im Oktober 1955 von einer Frau Eisfeld aus Zeitz als „chinesische Dolche“ mit u.a. einem Paar chinesischer Damenschuhen, einer Elchtrophäe, einem Straußenei, einer Muschelschale und einem Wurfspeer mit Schwungeisen an den Zeitzer Altertumsverein übergeben. Seit den 1960er Jahren liegen sie im ethnographischen Depot des Museums. Zuerst waren beide Tantos gemeinsam unter einer Inventarnummer – X-134 – aufgenommen. Zu einem späteren Zeitpunkt galt eines als „fehlend“. Dass es sich unter X-154 um genau dieses fehlende Messer handelte, ist 1960 bei der Übertragung in das Inventarbuch leider nicht aufgefallen. Ebenso wurden sie unter „Denhardt-Sammlung“ geführt. Da es sich aber bei Clemens (1852 -1929) und Gustav (1856-1917) Denhardt um zwei Afrikaforscher handelt und die Messer nicht im Besitz des Zeitzer Brüderpaares waren, ist dies ebenfalls fehlerhaft notiert und einsortiert worden.
Text / Fotos: Carmen Sengewald / Nadine Neumann © MSMZ
Quellen:
Harris, Victor: Cutting Edge: Japanese Swords in the British Museum.; British Museum Press, London 2004.
Yumoto, John M.: Das Samuraischwert: Ein Handbuch; Wiesbaden 2004.
Schwentker, Wolfgang: Die Samurai (Beck’sche Reihe); 4. Auflage, München 2019.