„Neuheiten mit Herz“
Der Schuhsaisonkatalog der Firma Otto Herz für die Zeitzer Verkaufsstelle der Familie Leschziner
Daten zum Glanzstück des Monats Februar
Werbekatalog, gebunden
Papier, Pappe / Druck
Frankfurt am Main, um ca. 1910
Maße: L 21 cm x B 15 cm
Inv.Nr. IX- 31650
Provenienz: unbekannt
Ersterfassung: 20.12.2023
Über dieses Glanzstück
Nachdem Juden über Jahrhunderte nur in wenigen Berufen wie Geldverleih oder Handel tätig sein durften, erlebte die jüdische Wirtschaftstätigkeit in den 1850er und 1860er Jahren einen Aufschwung. Um die Jahrhundertwende erfuhren viele jüdische Unternehmen eine stürmische wirtschaftliche Entwicklung. Der Lebensstandard stieg und dadurch verlangten die Konsumenten sowohl nach mehr, als auch nach neuartigen Waren. Nicht alle konnten auf Märkten, Messen oder in den kleinen Geschäften erworben werden. Um diesen Bedarf an Waren trotzdem zu decken, bedurfte es eines neuen Konzeptes. Aus dieser Not entwickelte sich eine neue, konkurrenzfähige Geschäftsform – das Warenhaus. Obwohl das Konzept des Warenhauses in Frankreich und den USA von Nichtjuden entwickelt wurde, waren es in Deutschland besonders jüdische Kaufmannsfamilien, die auf diesem Gebiet Fuß fassten. Hier vertrieben sie ganz unterschiedliche Artikel, da der Bedarf stetig stieg. Um den Konsumenten die Waren näher zu bringen und/oder ihnen noch mehr Möglichkeiten zu bieten, boten sie ihnen parallel auch Warenkataloge der neuesten Trends an. Unser neues Glanzstück des Monats ist ein solcher Katalog der Schuhfirma Otto Herz aus Frankfurt am Main. Auf 16 halbcolorierten Seiten werden dem Käufer die Saisonhighlights dargeboten.
Die Firma Otto Herz, Frankfurt am Main
Die Firma Herz wurde in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts gegründet. Bereits 1862 bot Otto Herz seine Schuhe und Stiefel aus Kalbs- und Ziegenleder in der ganzen Welt an – Schuhgeschäfte in Melbourne, Paris oder London verkauften die Modelle für Damen und Herren. Sie trugen allgemein verständliche Namen wie Dixon, Gigi oder Verdi und konnten zum Promenieren ebenso angezogen werden wie zur Arbeit im Büro. Der Designer der Firma versuchte dabei neue Passformen an den Kunden zu bringen, zugleich auch klassische wie den englischen Derbyschnitt. Die Idee der Maßarbeit wurde dabei ebenso vermittelt wie Modetrends und elegante Traditionen. Der Katalog zeigt 16 Schuhausführungen: Zehn Stiefel- und sechs Schnürhalbschuhmodelle. Jeder Schuh hat einen eigenen Namen und eine Zeichnung an der Seite. Erklärt wird das Aussehen, das Material und der Stil sowie die Passform. Auf jeder Seite steht die Bekleidung des Fußes im Mittelpunkt.
Die Firma wurde als Aktiengesellschaft 1898 unter dem Namen „Frankfurter Schuhfabrik AG vorm. Otto Herz & Co.“ neugegründet. Laut einer Börsennotiz in Berlin und auch in Frankfurt handelte es sich mittlerweile um ein „ziemlich großes Unternehmen in der Mainzer Landstr. 146/8 und Franken-Allee 23/25“, welches über eintausend Angestellte beschäftigte. 1928 wurden die Frankfurter Fabrikanlagen verkauft und der Betrieb selbst nach Offenbach überführt, wo die Anlagen von der Firma „Heroux & Leander Schuhfabrik AG“ erworben wurden. Harold Herz übernahm den Vorstand und die Firmenleitung 1929. Alle Produkte waren nun „Herz-Schuhwaren“. 1939 wurden die Fabrikationsgebäude mit den Einrichtungen samt aller Markenrechte an die Schuhfabrik Ed. Rheinberger AG nach Pirmasens verkauft und 1940 in Absprache aufgelöst. Die Schuhfabrik Herz war zwangsweise liquidiert beziehungsweise durch die Übernahme der Pirmasenser Firma Rheinberger „arisiert” worden und als Zweigwerk eingetragen. Erst in den 1970er-Jahren wurde wieder produziert.
Die Broschüre ist etwas am Einband geknickt, eine Seite hat sich aus der Bindung bereits gelöst. Dennoch ist der Katalog in einem fast tadellosen Zustand. Das Kaufhaus der Familie Leschziner hatte von der Frankfurter Firma das alleinige Verkaufsrecht im Zeitzer Umkreis erhalten. Dieser Umstand wurde auch auf dem Katalog vermerkt.
Das CONFECTIONS-Haus Leschziner
In Zeitz 1890 bekam das „Weiße Haus“ der Familie Nathan Konkurrenz von der Familie Jacob Leschziner, die in der Wendischen Straße ihr Kaufhaus eröffnete. Jacob Leschziner wurde 1865 in Polen geboren. Seine Eltern Friederike und Moses hatten sechs gemeinsame Kinder. Die Leschziners waren eine Kaufmannsfamilie – auch sein Bruder Isidor betrieb Bekleidungsgeschäfte z.B. in Altenburg, Gera und Erfurt. Seit 1890 gab es ein Geschäft in Zeitz, zuerst in der Wendischen Straße 14, sieben Jahre später unter der Nummer 30-32. Jacob Leschziner hatte das neue größere Kaufhaus extra neu für die Zeitzer bauen lassen. Neben einem Confections-Haus richtete er sich ein großes Schuhgeschäft ein, welches direkt zum Kaufhaus gehörte. Hier vertrieb er Schuhe für die gesamte Familie und für jeden Anlass. Im Bekleidungshaus konnten die Zeitzer hauptsächlich bereits angefertigte, moderne Kleidung – kurz: von der Stange – erwerben. Es wurde sowohl Damen-, Herren als auch Kinderbekleidung angeboten.
Familie Leschziner
Jacob Leschziner war nicht nur der Besitzer und Geschäftsführer der Filialen, sondern stand ebenso der Jüdischen Filial-Gemeinde Zeitz vor, die zur Synagoge in Halle an der Saale gehörte. Seine Ehefrau Johanna und die Töchter Erna und Margarethe engagierten sich gesellschaftlich in der Elsterstadt. Die Frauen waren Mitglieder in unterschiedlichen Frauenvereinen der Stadt. Sie waren z.B. Mitglieder im Ehrenausschuss der Zeitzer Ortsgruppe des Volksbundes zum Schutz der deutschen Kriegs- und Zivilgefangenen. Sein ältester Sohn Paul starb bereits als Soldat im Ersten Weltkrieg. Paul war zu dieser Zeit noch Schüler der Oberrealschule gewesen. Die beiden jüngeren Söhne, Herbert und Erich, verfolgten beruflich andere Pläne und studierten u.a. Jura an der Universität von Würzburg. Die Familie war orientiert an den deutschen Werten und Tugenden. Sie verstanden sich nicht als Juden, sondern als jüdische Zeitzer. Ihre Religion war ihnen wichtig, aber privat. Gegen den wachsenden Nationalsozialismus engagierte sich Jacob offen und versorgte die Ehefrauen und Kinder von linksorientierten Kräften.
Nach 1933 wurde auch das Leben der Leschziner schwerer. Das Kaufhaus war sehr beliebt unter der Bevölkerung gewesen. Allmählich verließen seine Kinder, aber auch seine Geschwister, mit ihren Familien Deutschland. Sohn Herbert ging mit seiner Ehefrau Käthe und den zwei Töchtern Liselotte und Hannelore nach Palästina. Erna und ihr Mann Max Grünpeter zog es nach New York, wo Erna später im israelischen Konsulat im UNO-Hauptquartier arbeitete. Deren Zwillingsbruder Erich wanderte gemeinsam mit Ehefrau und Tochter nach Haifa in Palästina aus. Auch Margarethe und deren Ehemann Leopold Varnhagen wanderten in die USA, nach San Francisco aus.
Erich Leschziner und sein Bruder Herbert (rechts)
Bis 1938 hielt der nun 73-jährige Jacob Leschziner an seinem Kaufhaus fest. In der Pogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 wurde das Kauf- und Schuhhaus gestürmt und geplündert. Auf Anweisung verkaufte er das Geschäftshaus an die Firma Kogge & Schönhoff. Gemeinsam mit Ehefrau Johanna verließ er 1939 ebenfalls Zeitz in Richtung der Levante. Dort ließ sich das Ehepaar nördlich des Carmel-Gebirges, der grünen Lunge Israels, nieder. Jacob Leschziner verstarb 1944 in der Hafenstadt Haifa am Mittelmeer. Sein Kaufhaus in der kleinen Elsterstadt Zeitz sah er nicht wieder.
Seit längerer Zeit ist der Werbekatalog Teil der Sammlung der Ernst-Ortlepp-Bibliothek im Museum Schloss Moritzburg Zeitz und ein wichtiges Dokument für das jüdische Leben in Zeitz.
Text: Carmen Sengewald
© Fotos / Reproduktionen:
Familie Leschziner: Jens Aaron Guttstein
Schuhkatalog: MSMZ / Nadine Neumann
Damenstiefel Otto Herz: Historisches Museum Hannover / Reinhard Gottschalk
Johanna und Jacob Leschziner mit Schwiegertochter Käthe