Provenienzforschung in der Grafiksammlung
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Seit November 2022 ist Anne Paschen als freiberufliche Provenienzforscherin im Projekt „Provenienzforschung im Museum Schloss Moritzburg Zeitz in der Grafischen Sammlung“ tätig, das vom Deutschen Zentrum Kulturgutverluste gefördert wird. Die Provenienzforschung widmet sich der Geschichte der Herkunft von Kunstwerken und Kulturgütern. Das auf zwei Jahre angelegte Projekt in der Grafiksammlung des Museums schließt an die erste, ebenfalls vom Deutschen Zentrum Kulturgutverluste geförderte, Erstcheckrunde des Museumsverbandes Sachsen-Anhalt e. V. an. Ziel ist die systematische Erforschung von Provenienzen bestimmter Kunstwerke, also deren Herkunft, und die Identifizierung von NS-verfolgungsbedingt entzogenem Kulturgut. Dabei stehen Grafiken im Fokus, die vom Museum in den 1950er-Jahren angekauft wurden. Der Museumsdirektor Ernst Johannes Günther legte während seiner Amtszeit von 1947 bis 1958 eine Grafiksammlung an und eröffnete 1954 im Museum ein „Graphisches Kabinett“. Das Museum verfolgte damit in der DDR-Zeit den Zweck, vor Ort Kunstinteressierte zu schulen und Laienzirkel zu unterstützen. Von dem heutigen Gesamtbestand der ca. 7000 Grafiken werden 692 Druckgrafiken, Lithografien, Kupferstiche und Holzschnitte von hochrangigen, bekannten Künstlern wie etwa Lovis Corinth, Käthe Kollwitz und Lucas van Leyden aus dem Entstehungszeitraum vom 15. Jahrhundert bis 1945 untersucht. Die Werke wurden zwischen 1951 und 1958 von der Galerie Eduard Henning (Halle/Saale), Reinhold Puppel (Quedlinburg) sowie von Ruth Wäscher (Halle/Saale) erworben.
Abb. links: Eduard Henning (Foto: Nachlass der Familie Henning Halle, Fotograf unbekannt)
Abb. rechts: Auktionskatalog Kunstantiquariat Hollstein & Puppel,
Berlin. 10.,11.11.1936.
Abb. links: Anzeige Ruth Wäschers, In: Deutsche Kunst- und Antiquitätenmesse [Hrsg.]: Die Weltkunst, Jahrg. XII, Nr. 7, 13.02.1938.
Diese Kunsthandlungen werfen Fragen hinsichtlich der Bezugsquellen der von ihnen angebotenen Werke auf. Sollten sich durch die Forschung Hinweise auf einen verfolgungsbedingten Entzug bei einem Werk aus der Grafiksammlung ergeben, wird das betreffende Werk in der sogenannten Lost Art-Datenbank veröffentlicht und es werden faire und gerechte Lösungen mit den rechtmäßigen Eigentümer*innen angestrebt.
Erste Forschungsergebnisse des Projektes sind neue Erkenntnisse über Handelswege und Akteur*innen auf dem Kunstmarkt. Es konnte belegt werden, dass Ruth Wäscher mit dem Burgenforscher Hermann Wäscher verheiratet war. Dieser war seit den 1950er-Jahren auch Leiter des Grafischen Kabinetts des heutigen Kunstmuseums Moritzburg Halle. Die Restauratorin für Grafik, Ruth Helbig, war ebenso am Aufbau des Grafischen Kabinetts beteiligt und handelte wahrscheinlich gemeinsam mit Hermann und Ruth Wäscher in den fünfziger Jahren mit Grafik. Dies belegt eine Karteikarte des Zeitzer Museums und eine Rechnung an das Berliner Kupferstichkabinett. Die Kunsthandlung Wäscher hat Grafiken nach Flensburg, Berlin und Dresden, sowie gemeinsam mit Ruth Helbig an die Moritzburg Zeitz verkauft. Ein Werner Rodorff (Aschersleben) taucht als Akteur im Kunsthandel auf und agiert im Auftrag des Leiters des Kupferstichkabinetts Berlin. Nähere Informationen und weitere Personen der relevanten Netzwerke werden im Laufe des Projektes noch recherchiert.
Nach aktuellem Stand wurden bislang keine eindeutig belasteten Kunstwerke identifiziert, aber auch keine unbelasteten Objekte. In der Bewertung der Provenienzen nach Einordnung der Farbskala des Deutschen Zentrum Kulturgutverluste sind derzeit 528 Objekte Gelb kategorisiert (Die Provenienz ist für den Zeitraum zwischen 1933 und 1945 nicht eindeutig geklärt, es bestehen Provenienzlücken oder ist nicht zweifelsfrei unbedenklich. Die Herkunft muss weiter erforscht werden.). 164 Objekte sind aktuell orange kategorisiert (Die Provenienz ist für den Zeitraum zwischen 1933 und 1945 bedenklich, da Hinweise auf einen Zusammenhang auf einen NS-verfolgungsbedingten Entzug vorliegen. Die Herkunft muss dringend weiter erforscht werden.).