„ORBIS PICTUS“
Johannes Lebek
Daten zum Glanzstück des Monats September
Holzschnittfolge von 20 Holzschnitten in einer Kassette
1974
handgedruckt auf Japanpapier in einer Auflage von 30 Stück
leinengebunden mit aufgedrucktem Titel: „Holzschnitte Johannes Lebek“
Maße Kassette: Höhe 502 mm, Breite 362 mm, Tiefe 24 mm
Maße Blätter: 430 x 290 mm
Maße Druckstöcke: alle fast gleich groß, jeweils ca. 340 x 240 mm
alle Blätter einzeln signiert mit Bleistift „JLebek“, nummeriert, datiert
Inv. Nr.: VI B / 72 – 14 a-n
Über dieses Glanzstück
„ORBIS PICTUS“ heißt auf Deutsch „Gesehene Welt“ oder auch „Bildwelt“.
Die Holzschnittfolge „ORBIS PICTUS“ hat Johannes Lebek in nur einem Jahr realisiert. Alle 20 dazugehörigen Schnitte haben etwa ein gleichgroßes Hochformat. Im Jahr 1974 ist Lebek bereits 73 Jahre alt und nimmt sich noch einmal dieses große Werk vor. Seit fünf Jahren wohnt er da schon mit seiner Frau Anna in Adelebsen in der BRD. Beide haben 1969, bereits im Rentenalter, ihre Heimatstadt, ihr Zuhause im Rosenweg 8 in Zeitz verlassen. Die Tochter Elisabeth mit ihrem Mann Hubert Wegner waren schon vor dem Mauerbau in Berlin in die BRD geflüchtet. Lebeks wollten gern ihre Enkel aufwachsen sehen. Außerdem versprach sich die Familie von der Umsiedlung mehr Aufmerksamkeit für Lebek als Künstler. Die Jahre nach 1969 waren geprägt von einem intensiven Arbeiten an und für Lebeks Werk. Elisabeth und Hubert Wegner leisteten im Sinne Lebeks beispiellose Arbeit. Sie erstellten ein Werkverzeichnis, organisierten Ausstellungen und gaben Bücher als Privatdrucke heraus. Lebek schafft noch ein enormes Spätwerk, illustriert Bücher mit Holzschnitten und später mit Federzeichnungen. Für Kassetten und Mappen wurden Tausende Holzschnitte auf besten Japanpapieren handgedruckt, die von Lebek autorisiert und signiert wurden. Wie z.B. Kassetten mit allen Holzschnitten der Werke „Häuser der Kindheit“, „Meine Eltern“ oder die Mappe „Herzog Theodor von Gothland“ und noch viele andere mehr. So auch die 30er-Auflage der 20 Holzschnitte des „Orbis Pictus“, d.h. 600 einwandfreie Handdrucke allein für diesen Holzschnittzyklus. Alle Originale sind von Lebek signiert und datiert, einige dieser Sammelmappen kann man noch heute für eine Spende zugunsten des Lebek-Zentrums im Torhaus käuflich erwerben.
Im Nachlass des Künstlers, der im Lebek-Zentrum aufbewahrt wird, sind noch alle Druckstöcke des „ORBIS PICTUS“ und auch das Manuskript für das Mappenwerk vorhanden. Das letztere enthält mehrere kraftvolle und frische Zeichnungen mit schwarzer Tusche. Großzügig meisterhaft „hingeworfen“. Es ist nicht ganz auszumachen, wie oft da ein Pinsel und wie oft eine Rohrfeder das Zeichenzeug war. Die Motive, sicher abgerufen aus dem enormen optischen Gedächtnis Lebeks, zeugen von Erinnerungen eines wahrhaft sehenden und genau beobachtenden künstlerischen Auges. Auf der ersten Seite des Manuskripts sehen wir eine „Große-Buchstaben-Komposition“ der Worte „HALLELUJA HALLELUJA HALLELUJA“, welche dann nicht als Holzschnitt ausgeführt wurde. Aber diese Worte besingen Lebeks Thema: Das Lob Gottes und seiner Schöpfung – nicht zum ersten Mal.
„Gelobt sei mein Herr“ heißt der erste Schnitt. Ein Engel hält ein aufgeschlagenes Buch mit dieser Aufschrift in der oberen linken Ecke des Motivs, Licht breitet sich kreis- und strahlenförmig aus, links unten zwei friedliche Raubkatzen neben üppigen Pflanzen. Mit dem Holzschnitt „Orgel“ zusammen sollte es der Titelholzschnitt einer ursprünglich größer formatigen Folge sein. Später teilt Lebek dieses Großformat für zwei aufeinander folgende Blätter. Beide Schnitte preisen die Schöpfung. Sichtbares Zeichen sind dafür auch die Pfauen, die ihr Rad mit den prächtigen Schwanzfedern schlagen. Rechts davon sehen wir eine Orgel, welche das Prospekt des Instrumentes im Dom St. Peter und Paul in Zeitz zeigt – Ja! – fern der Heimat verbindet Lebek sich wieder mit ihr! Leicht hätte er ein anderes Orgelprospekt für dieses Thema verwenden können, er wählt aber das in seiner alten Heimatkirche. Auch im Blatt „Domerbauer“, die Kaiser Otto I. und den „Käselieb“ aus Rasberg zeigen, die sich für den Bau des Domes in der Bischofsstadt Zeitz (ab 967) verantwortlich zeigen, bezieht er sich ganz konkret auf seine Geburtsstadt, die nun weit entfernt, noch Heimat vieler alter Freunde und Weggefährten ist.
Erwin Pfannkuch schreibt für das Göttinger Tageblatt am 19.4.1983 in dem Artikel „Hinweis auf einen Künstler der Stille“ zu einer Ausstellung: „In dem Zyklus Orbis Pictus beispielsweise weiß Johannes Lebek das Verwobensein der kleinen Welt mit der Unendlichkeit zu deuten, wie es wohl selten einem Künstler gelungen ist. Eine unscheinbare Blume steigt in ihren geschlossenen Blüten in die sanft-hellen Kreise des nächtlichen Lichtes und scheint der Vergänglichkeit enthoben zu sein. Vergänglichkeit – allem Leben auf Erden, allem Schaffen der Menschen anhaftend – wird so aus der Schwere und erdrückenden Last einer Sinnmitte zugeführt.“
Das oben beschriebene Motiv finden wir im Holzschnitt „Nacht“, welcher mit dem „Tag“ ein Paar bildet. Alle Motive des Zyklus bilden Paare, einzig die Jahreszeiten ein Quartett:
„Gelobt sei mein Herr“ –„Orgel“
Tageszeiten: „Tag“ – „Nacht“
Jahreszeiten: „Frühling“, „Sommer“, „Herbst“, „Winter“
„Zahme Tiere“ – „Wilde Tiere“
„Vögel“ – „Fische“
„Versteinerungen“ – „Kristalle“
„Im Licht“ – „Im Dunkel“
„Domerbauer“ – „Waldarbeiter“
„Romanik“ – „Gotik“
Seiner Vaterstadt schenkt er die Mappe mit nur 14 (von eigentlich 20) ausgesuchten und extra passpartierten Holzschnitten schon im Jahr 1976, wie wir der Widmung auf einem Einlegeblatt der Kassette in unserer Grafiksammlung entnehmen. Sechs Blätter fehlen, es sind die Motive, die am deutlichsten von seinem katholischen Glauben und seiner Bindung zu Gott sprechen. Diese möchte er offenbar seiner Vaterstadt in der sozialistischen DDR nicht überreichen. Wegen seines Glaubens passte sein Schaffen immer wieder nicht in die Vorstellungen von sozialistischer Kunst, Lebek bekam nur schwer Aufträge oder konnte für seine Illustrationen mehrfach keine Verlage finden. Inventarisiert ist diese in der Grafiksammlung des Museums unter der Nr. VI B / 72 – 14 a-n.
Im Übrigen wird der frisch entstandene Holzschnittzyklus in einer Wanderausstellung des Kunstdienstes der mecklenburgischen Landeskirche in Neustrelitz, Waren, Malchow, Plau und Neubrandenburg gezeigt, wie die Mecklenburgische Kirchenzeitung am 22.6.1975 berichtet.
Im Spätwerk Lebeks ist eine Veränderung in der Behandlung der strengen, disziplinierenden Holzschnitttechnik zu sehen. Die Ränder der Schnitte werden offener, bewegter und unbestimmter oder gar aufgelöst, Schwarz- und Weißpartien sind nicht immer Abbilder wahrer Lichtführung, sondern dienen der virtuosen Gestaltung des Inhaltes. Vor allen Dingen in den Blättern „Fische“ und „Kristalle“ oder „Herbst“ sehen wir zuerst schwarz-weiße bewegte Strukturen, bevor sich das Thema für das Auge offenbart. Dennoch schreibt Joachim Puttkammer zur Wanderausstellung in Mecklenburg am 5.7.1975 in der Zeitung „Der Demokrat“ (Zeitung der CDU in Mecklenburg): „Lebek hat sich den Moderichtungen der Kunst nie angeglichen, hat nie versucht, modern zu sein. Dafür hat er in Kauf nehmen müssen, daß er dem breiten Kunstpublikum verhältnismäßig unbekannt geblieben ist. Es sieht fast so aus, als würden die Werke dieses Künstlers plötzlich wieder verstanden, als hätte man Freude an der exakten Wiedergabe des Vorfindlichen in der Natur.“ Diese Worte gelten auch noch für unsere heutige Zeit: Immer wieder findet Lebek neue stille Bewunderer seiner Kunst, nicht zuletzt in den Ausstellungen des Lebek-Zentrums der letzten 20 Jahre.
Ein Exemplar des ORBIS PICTUS habe ich im Auftrag von Elisabeth Wegner im Jahr 2007 dem Museum für Bildende Künste in Leipzig für dessen Sammlungsbestand als Geschenk überreichen können.
Text und Reproduktionen: Ulrike Trummer / © MSMZ
Ab dem 8. September 2024 wird das Mappenwerk „ORBIS PICTUS“ von Johannes Lebek in einer Sonderschau des Lebek-Zentrums ausgestellt. Zudem werden die schönsten Holzschnitt-Illustrationen und Bücher von Zeitzer Kindern, die in 20 Jahren Druckwerkstatt entstanden sind, präsentiert.