„ZUM SEHEN GEBOREN“
Manuskript von Johannes Lebek
Daten zum Glanzstück des Monats September
Manuskript für ein Holzschnittbuch, gebunden
mit 49 Tuschezeichnungen
1984
220 x 255 x 8 mm
DW / W 128 / M 49
Über dieses Glanzstück
Zeitlebens war „das Sehen“ Lebeks Arbeit und Freude, seine Bestimmung. Die Zeilen aus Gothes Faust Teil II beginnen mit den starken Worten: „Zum Sehen geboren“. Diese wählt er als Titel für ein geplantes Holzschnittbuch, weil auch er sich stets als „zum Sehen geboren“ fühlt und seine Berufung ihn erneut drängt, Erschautes voller Dankbarkeit darzustellen. Am Ende seines Lebens ruft er zum wiederholten Male aus seinem Gedächtnis Bilder ab, die ihn stark berührt hatten und möchte sie auch für andere sichtbar machen. Hand, Feder, Pinsel und Tusche gehorchen ihm beim Entwerfen sichtlich mühelos, sie zeugen von Energie und Schaffenswillen. In einem Filmdokument aus dem Jahr 1940, welches sich auch im Lebek-Zentrum befindet, sieht man den Holzschneider mit Pinsel und Tusche einen Schwarz-Weiß-Entwurf direkt auf einen vorbereiteten Druckstock zeichnen, schnell und scheinbar mühelos. Da ist er 39 Jahre alt und arbeitet in seiner kleinen Werkstatt im Rosenweg in Zeitz.
Später wird aus diesen Zeichnungen ein Buch gebunden. Wir nehmen einen Gegensatz wahr: Der handschriftliche Schriftzug am Anfang des Manuskripts wirkt wie von anderer Hand zu Papier gebracht, die Buchstaben des Titels sind auch mit Feder und Tusche geschrieben, aber sie wirken gequält, gequetscht oder zu breit und unsicher. Mit großer Wahrscheinlichkeit hat Lebek den Titel erst viel später geschrieben, an einem Tag, an dem ihm das sichtlich schwer fiel. Aber mit dem Titel war das Manuskript erst vollständig und wurde nun zum Binden gegeben. Dieser Titel ist nun am Anfang des Buches und dafür verantwortlich, dass uns viele der folgenden Zeichnungen überraschen ihrer hohen Qualität und Vitalität wegen in diesem Spätwerk.
Mit 83 Jahren für das Manuskript „Zum Sehen geboren“ gelingt ihm das noch genauso – nein – sogar noch beindruckender im Ergebnis! Die Zeichnungen scheinen aus ihm herauszusprudeln, sie spiegeln seine schönsten oder wichtigsten Erinnerungen meist in der Natur, 49 Seiten füllt er damit. Auf der letzten Seite erkennt der Zeitzer unschwer eine Sanduhr, die links und rechts von Posaunenengeln gehalten wird, sie steht heute auf der Kanzel im Dom St. Peter und Paul. Ein später Gruß in seine geliebte Heimatstadt, die er als Rentner mit seiner Frau verlassen hat, um die fünf Enkel im Westen Deutschlands, in der BRD, aufwachsen zu sehen im damals geteilten Deutschland.
Zum Schaffen von Johannes Lebek zählen über 120 Bücher, welche insgesamt mit mehr als 2300 Holzschnitten, Holzstichen oder seltener Tuschezeichnungen illustriert sind. Dazu hat er noch ungezählte Vignetten für den Druck in Zeitungen geschnitten. In seinem Werkverzeichnis sind darüber hinaus noch mehr als 800 grafische oder malerische Einzelwerke aufgeführt. Das Buch „Zum Sehen geboren“ konnte er dann allerdings nicht mehr realisieren. Nur den Entwurf „Am See“ hat er noch in Holz geschnitten und gedruckt. Bald musste er das Holzschneiden ganz aufgeben, die Kraft reichte nicht mehr aus. Es entstanden noch einige letzte Zeichnungen und Aquarelle. Johannes Lebek starb am 8. Oktober 1985.
Text und Reproduktionen: Ulrike Trummer / © MSMZ
Ab dem 12. September 2021 ist das hier als Glanzstück des Monats gewählte Manuskript „Zum Sehen geboren“ aus Lebeks Nachlass, dem Depositum „Elisabeth und Hubert Wegner“, in der gleichnamigen Sonderausstellung für ein Jahr im Kunst- und Museumspädagogischen Zentrum „Johannes Lebek“ im Torhaus des Schlosses zu sehen. Darüber hinaus noch viele bisher ungezeigte früheste Arbeiten, Skizzen und Aquarelle mit privaten Studien, sowie Holzschnitte mit Ansichten aus den umliegenden Dörfern, darunter auch mehrere alte Dorfkirchen.