Die Ratsherrensänfte der Stadt Zeitz
Daten zum Glanzstück des Monats November
Einst Symbol städtischer Würde, heute ein echtes Glanzstück im Museum Schloss Moritzburg Zeitz: Die barocke Ratsherrensänfte erzählt von Glanz, Amt und Ansehen – und davon, dass man sich früher im wahrsten Sinne auf Händen tragen ließ.
Historische Ratsherrensänfte des Stadtrates in Zeitz
Zeitstellung: um 1750 (Spätbarock / Rokoko)
Inventarnummer: V/H 220
Provenienz: Eigentum der Stadt Zeitz, übergeben an das Museum Schloss Moritzburg Zeitz (Sammlung Historische Möbel)
Herkunft / Nutzung: Repräsentationsobjekt der Stadt Zeitz zur Beförderung von Ratsherren und deren Gästen bei feierlichen Anlässen, Prozessionen und offiziellen Aufzügen.
Material: Holz, Leder, Glas, Metall, Seidendamast
Hölzerne Rahmenkonstruktion mit Lederbespannung, hölzerne Trageholme und mit Stoff bespannter Innenraum original, nur Fenster später ersetzt
Originalfarbfassung nach restauratorischer Untersuchung:
- Trageholme: braune Ölfarbe
- Ornamentflächen: rotbraune Ölfarbe
- Ornamente und Rahmen: Ölvergoldung
- Lederbespannung: schwarzbraune Ölfarbe
- Innen mit rotem Damast ausgeschlagen
Fehlteile: die ornamentale Bekrönung, der Türriegel, sowie Teile des ornamentalen Schnitzwerkes
Maße: Sänften-Körper: L 80/92 cm, B 73 cm, H 1,70 cm
Holmen: L 3,70m, Stärke 4-8,5cm
Raumvolumen: T 80cm, B 60cm, H 1,40m ≙ 0,672m³ = 672Liter
Sitz-Maße: T 35cm, B 60cm, H 50cm
Gewicht: etwa 55 Kg
Über dieses Glanzstück
Beschreibung und Erhaltung
Die Zeitzer Ratsherrensänfte entstand in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts als repräsentatives Fortbewegungsmittel der Stadtväter. Getragen auf zwei kräftigen Holmen, mit geschweifter Holzrahmenkonstruktion, lederbespannten Wandflächen und verglasten Fensteröffnungen, bot sie eine stilvolle Möglichkeit, Ratsherren und deren Gäste bei feierlichen Prozessionen, Amtsantritten und Ratszeremonien zu befördern.
Die Sänfte besitzt ein abnehmbares Dach, Seiten- und Vorderfenster zum Herunterlassen, eine Tür an der Front und einen mit rotem Damast ausgeschlagenen Innenraum. Außen zeigt sich vergoldetes Holz mit ornamentaler Schnitzerei. Die Rahmenkonstruktion, Trageholme und Lederbespannung sind original erhalten – ein seltener Glücksfall; die Fenster wurden wohl im 19. Jahrhundert ersetzt.
Zur Geschichte des Sänftenwesens
Die „Sänfte“ – im 18. Jahrhundert auch „Tragsessel“ oder französisch „Portechaise“ genannt – gehörte zu den kuriosesten und zugleich elegantesten Transportmitteln ihrer Zeit. Nach antiken Vorbildern erlebte sie ab dem späten 17. Jahrhundert eine Renaissance. Ursache war das wachsende Bedürfnis nach Komfort: schlechte Straßen machten Kutschfahrten beschwerlich, während das Gehen durch Schlamm und Straßenschmutz den feinen Schuhen kaum zuträglich war.
Zunächst moralisch umstritten – durfte man sich wirklich von Menschen wie von Lasttieren tragen lassen? – wurde die Sänfte bald zum Statussymbol. Wohlhabende Bürger und Adelige hielten eigene Sänften; in großen Städten entwickelten sich bald öffentliche Sänftendienste, die als eine Art früher „Taxibetrieb“ galten.
In Dresden etwa wurde 1705 ein solcher Dienst vom Kaufmann Landsberger gegründet, später vom Stadtrat übernommen. Auch Leipzig, Naumburg und viele andere deutsche Städte folgten. In Naumburg wurde der öffentliche Portechaisenbetrieb 1815 eingestellt, in Dresden 1878 und in Leipzig 1886 – der Kutsche und später dem Automobil war die Sänfte schließlich unterlegen.
Manche Städte – wie Nürnberg – erlassen sogar „Sänftenordnungen“ mit Preislisten und Verhaltensregeln. Dort heißt es, die Träger sollten sich sonntags mit frischem weißem Gezeug zeigen und ihre Sänften innen und außen sauber halten – ein frühes Zeichen städtischer Regulierung und „Berufsehre“.
Bemerkenswert sind auch soziale Beobachtungen: Als 1705 in Nürnberg eine Sänfte erstmals öffentlich auftrat, warf die Bevölkerung mit Steinen und Kot nach ihr – „es sei eine Sünde, wenn ein Mensch des anderen Esel würde“. Die Empörung legte sich jedoch, und der Sänftendienst etablierte sich rasch.
Konstruktion und Nutzung
Die typische Sänfte bestand aus einem „mannsgroßen“ Kasten mit Sitzbank, Tür und Fenstern. Holz, Leder und Glas prägten die Konstruktion; einige Modelle hatten Rahmen mit Lederbespannung zur Gewichtsersparnis. Die Trageholme liefen durch eiserne Halterungen, die eine schräge Führung erlaubten – praktisch beim Tragen bergauf oder -ab. Viele Sänften ließen sich oben öffnen, um bequem ein- und aussteigen zu können. Der Barockbaumeister Johann Jacob Schübler verfasste 1730 sogar eine Abhandlung über die „geometrische Construction der Porte-Chaise“ – ein Zeugnis dafür, wie technisch durchdacht dieses Transportmittel war.
Auch die Arbeit der Träger war eine körperliche Herausforderung. Im Universal-Lexicon der praktischen Medicin (1830) wird als „Berufskrankheit“ der Sänftenträger ein „gewölbter Rücken“ genannt – ein Hinweis auf die harte Tätigkeit.
Die Zeitzer Sänfte im Kontext
Die Zeitzer Ratsherrensänfte steht in dieser Tradition zwischen Luxusobjekt und städtischem Statussymbol. Sie verbindet funktionale Bauweise mit künstlerischer Gestaltung und verkörpert damit die Selbstrepräsentation einer Stadt, die sich im Barock gern in Szene setzte. Heute ruht sie im Festsaal des Museums Schloss Moritzburg Zeitz – getragen nur noch von Geschichte, Glanz und Bewunderung.
Ein echtes Glanzstück mit Stil – und ein funkelndes Zeugnis barocker Repräsentationskultur in Zeitz.
Text und Fotos der Ratsherrensänfte: Silke Frömter
© MSMZ
Quellen und Literatur:
- Michael Matz (1999/2000): Restauratorische Voruntersuchung der Ratsherrensänfte Zeitz, Weimar.
- Hans-Joachim Richter [Hrsg.] (1999): Arthur Jubelt – Unsere Heimat im Bild Zeitz 1927-1943.
- Bernhard Weigl (2014): Tragen und Getragen werden – die Sänfte als öffentliches Verkehrsmittel, Minden.
- Seite „Sänfte“. In: Wikipedia – Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 26. September 2025, 21:24 UTC. URL: https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=S%C3%A4nfte&oldid=260085666 (Abgerufen: 7. November 2025, 11:29 UTC)
- Museum Schloss Moritzburg Zeitz – Sammlung Historische Möbel.
















