Nimm eine Tafel und wünsch dir etwas von den Göttern!
1442 EMA-Tafeln aus der Ausstellung „Sonnenglanz und Modenschein – 20 Jahre Städtefreundschaft Zeitz & Tosu“
Daten zum Glanzstück des Monats Februar
Entstehungsjahr: 2024
Maße: H 7 cm, B 10 cm, T 1 cm/ H 6 cm, B 9 cm, T 0,2 cm/ H 12 cm, B 3 cm, T 0,2 cm
Material: Holz, geschnitten
Technik: geschnitten, bedruckt, beschrieben
Besonderheit: Handschrift
Sammlung: Stadtgeschichte
Inv.Nr.: V/H – 4854
Über dieses Glanzstück
Im Jahr 2024 hat die Stadt Zeitz mehrere Jubiläen gefeiert: 20 Jahre Schlosspark, 20 Jahre Kunst- und Museumspädagogisches Zentrum Johannes Lebek und 20 Jahre Städtefreundschaft zwischen der japanischen Stadt Tosu und der Elsterstadt. Die Partnerstadt aus Japan hat zudem Zeitz ein großes Geschenk gemacht: einen 1200 m² großen Japanischen Garten. Aus diesem Anlass hat das Museum Schloss Moritzburg Zeitz dieser ungewöhnlichen und einmaligen Freundschaft in Sachsen-Anhalt eine Jubiläumsausstellung gewidmet. Auf rund 200 m² Ausstellungsfläche wurden die Beziehungen zwischen Zeitz und Japan sowie Zeitz und der Stadt Tosu (Präfektur Saga) beleuchtet und dargestellt. Mit der Sonderausstellung „Sonnenglanz und Mondenschein – 20 Jahre Städtefreundschaft Zeitz & Tosu“ hat das Zeitzer Museum Schloss Moritzburg nicht nur die Beziehung zwischen den Städten dokumentiert, sondern auch auf verbindende Elemente beider Kulturen geblickt. Wichtig dabei war auch, dass der Besucher sich als Teil der Ausstellung fühlen konnte. Partizipierende Elemente wurden nicht nur auf der gesamten Ausstellungsfläche integriert, sondern haben auch die Exponate aus Japan, Berlin und Zeitz ergänzt. Eines dieser Elemente ist das Glanzstück des Monats Februar geworden: die EMA-Tafel. Das Konvolut umfasst 1442 Stück, die über der gesamten Dauer der Sonderausstellung von den großen und kleinen Gästen beschrieben worden sind.
Ema-Täfelchen sind kleine Holzbrettchen, die mit Votivbildern versehen sind. In Japan werden diese sowohl in buddhistischen Tempeln als auch in den shintoistischen Schreinen ausgegeben. Eine Seite ist mit einem vorgedruckten Motiv versehen, die andere dient als Schreibfläche, auf der eigene Anliegen verschriftlicht werden können. Anschließend werden die Täfelchen vor Ort aufgehängt, mit der Hoffnung, die Götter reagieren positiv darauf und helfen.
Der Begriff „ema“, der übersetzt „Pferdebild“ bedeutet, leitet sich vermutlich von der Tradition ab, den Göttern Pferde oder deren Bilder zu schenken. Da das Pferd als Transporttier par excellence gilt, vermag es Wünsche mit großer Verlässlichkeit zu der entsprechenden Gottheit zu bringen, so die Überlieferungen. Die heutige Praxis hat jedoch kaum etwas mit den beliebten Haustieren zu tun. Ema-Tafeln sind behilflich als fassbare Verbindung zwischen dem irdischen Hier und der himmlischen Welt der Götter und gestatten es den Menschen, ihre Hoffnungen und Sorgen nach außen zu tragen. Diese Tradition bietet einen einzigartigen Einblick in die Herzen und Köpfe der Schrein- bzw. Tempelbesucher und spiegelt zugleich die individuellen Wünsche Einzelner als auch breitere Trends der Gesellschaft wider. Die häufigsten Wünsche in Japan beziehen sich auf Erfolg in Schul- und Berufsleben, neben Themen wie Liebe, Heirat, Gesundheit und eine sichere Zukunft. Die japanische Redensart „In schweren Zeiten wendet man sich den Göttern zu“ [jap. „kurushii toki no kamidanomi“], ist hierbei ganz besonders zutreffend, denn sehr glückliche Menschen haben die Götter bereits auf ihrer Seite, dem Glauben nach. Die auf diesen Tafeln niedergeschriebenen Wünsche und Gebete zeigen mittlerweile nicht mehr nur persönliche Anliegen, sondern nehmen sich breiteren gesellschaftlichen Themen an und greifen globale Ereignisse auf wie Politik, Wirtschaft und Naturphänomene. Dennoch besitzen heutzutage EMA-Tafeln einen speziellen „Fun-Faktor“, besonders die Votivbilder im Manga-Style oder kunstvolle Zeichnungen heben die Attraktivität der kleinen Postkarten. In die Praxis der Ema-Anwendung hat sich mittlerweile die moderne Technologie ihren Weg gefunden. In Japan bieten einige Schreine, neben den analogen, ebenso digitale Ema-Dienste an. Die Wünsche können online eingereicht werden.
An den Originaltäfelchen aus Japan wurde sich auch im Museum Schloss Moritzburg Zeitz orientiert:
Die drei unterschiedlichen Holztäfelchen sind alle auf der Rückseite mit dem Logo des Museums bedruckt. Sie bestehen aus Holz bzw. aus Sperrholz. Mit einem Faden versehen konnten sie an einer Stange an einer Wand befestigt werden. Inhalte oder Themen, was die Wünsche, Bitten oder Gebete umfassen sollten, hat das Museum nicht vorgegeben. Alles selbstverständlich anonym. So wie es in ihrem Ursprungsland auch an den Schreinen eine Anleitung gibt, war solch eine auch in der Ausstellung vorhanden:
„Es ist ganz einfach:
- Nehmt ein leeres Täfelchen und einen Stift;
- Haltet kurz inne und überlegt euch einen Wunsch;
- Formuliert diesen im Kopf und schreibt ihn dann nieder;
- Hängt die Wunschtafel an die Wand.
Das war es – nun ist es an den Göttern, die Post zu lesen und Wünsche in Erfüllung gehen zu lassen!“
Von den rund 9200 Ausstellungsbesuchern in sechs Monaten (vom 6. April bis 3. November 2024) waren unterschiedliche Erwartungen niedergeschrieben worden. Von schon lang gehegten (Kinder-)Wünschen wie Spielzeug, eine Reise, ein Pony oder gar einen großen Lotteriegewinn gingen die Ideen aber über das Materielle hinaus. In rund 13 unterschiedlichen Sprachen baten die Gäste der Ausstellung hauptsächlich um Gesundheit, (Welt-)Frieden und Glück. Sie bedachten dabei oft nicht sich selbst, sondern ihre Familien, Freunde und Kollegen. Innere Ruhe und Gelassenheit wünschten sie ebenso viele wie Vernunft (auch von anderen), Harmonie im Leben und im Beruf, Respekt und Toleranz untereinander. Dabei unterschieden sich nicht die Wünsche von Kindern oder Erwachsenen und egal aus welchem Land. Kinder haben oft nur ihren Namen hinterlassen oder ergänzend zum Wunsch kleine Zeichnungen.
Ob alle Ema-Tafeln an die Wand gebunden worden, kann verneint werden, denn zur Verfügung standen rund 1600 Täfelchen. Einige wurden nach kurzem Kopfrechnen auch mitgenommen. Das kann man übrigens auch in Japan. Niemand ist verpflichtet, das erstandene Brettchen im Schrein zu hinterlassen. Es als Souvenir mit nach Hause zu nehmen, ist erlaubt. Seit Beginn der Ausstellung Anfang April 2024 erfreuten sich die Täfelchen hoher Beliebtheit, binnen zwei Wochen waren zweihundert von ihnen beschrieben. Das allerletzte Holzbrettchen wurde am 3. November 2025 von einem Geschwisterpärchen beschrieben, neun und sieben Jahre alt.
In Japan selbst werden gegen Ende eines Jahres die Tafeln in den Schreinen abgenommen und rituell verbrannt. Denn mit dem Rauch, nicht auf den Rücken der Pferde, erhalten die Himmelsgeister ihre Nachrichten. In Zeitz werden die Tafeln nicht im Feuer enden. Zusammengepackt und inventarisiert sind sie im stadtgeschichtlichen Depot untergebracht mit anderen Teilen der abgebauten Jubiläumsausstellung. Sie werden nochmals in der Vitrine der Glanzstücke im ersten Obergeschoss der Moritzburg im Laufe des Jahres gezeigt werden.
Text: Carmen Sengewald
© Fotos: MSMZ
© Plakat: graphik@genten