Endstation Schafott
Die letzte öffentliche Hinrichtung in Zeitz
Daten zum Glanzstück des Monats August
Richtblock
Entstehungsjahr: 1840
Material: Eiche
Höhe: 62 cm
Inv.Nr.: V/H – 221
Über das Glanzstück
Dieses Glanzstück ist nicht einfach nur ein wuchtiger Holzblock. Das auch als „Hackstock” bezeichnete ehemalige Ausstellungsexponat aus der Sammlung zur Stadtgeschichte war bereits 1940 im damaligen Zeitzer Heimatmuseum als eine besondere stadtgeschichtliche Sehenswürdigkeit ausgestellt, später noch einmal im Jahre 2012 in der Sonderausstellung „GESAMMELT” zum 80-jährigen Jubiläum des Museums. Es ist ein alter Richtblock der Stadt Zeitz. Der Ratszimmermeister Dorn hat ihn 1840 extra für eine Hinrichtung angefertigt, für die von Johann Friedrich Hermann Dressel – die letzte öffentliche Hinrichtung in Zeitz.
Und so beginnt die Geschichte, die dieses Sammlungsobjekt erzählt: Am frühen Morgen des 18. Dezembers 1834 folgt der Tuchmacher Hermann Dressel aus Freyburg heimlich seinem Nachbarn Christian Cornelius Pistorius, ebenfalls Tuchmacher, der gerade dabei ist, mit einer Schubkarre Tücher nach Zeitz zum Markt zu bringen. Dressel hat eine Waffe unter seiner Kleidung versteckt, dazu hat er den Lauf der Flinte extra abgesägt. Auf einem Weg zwischen Freyburg und Großjena schleicht sich Dressel von hinten an Pistorius heran und schießt auf dessen Hinterkopf. Doch die Kugel bleibt im Lauf stecken. Also dreht er das Gewehr um und schlägt damit auf den Kopf von Pistorius ein bis dieser zu Boden fällt. Dann nimmt er noch das Geld seines Opfers, versteckt dessen Tücher und die Schubkarre, und läuft nach Hause, wo er seiner Frau in Tränen um den Hals fällt und sie anfleht ihn nicht zu verraten. Aber Pistorius ist noch nicht tot. Er wird noch am selben Morgen schwer verletzt gefunden und identifiziert. Jedoch bleibt er bewusstlos und stirbt nach zwölf Wochen an „Hirnerschütterung und Entzündung”.
Die aufsehenerregende Tat spricht sich schnell herum. Dressel hat einen sehr schlechten Ruf und so fällt bald der Verdacht auf ihn, der bei einer Hausdurchsuchung bestätigt werden kann. Daraufhin wird Dressel festgenommen und ins Zeitzer Inquisitoriat, die peinliche Untersuchungsbehörde, gebracht. Dort angekommen legt er ein Geständnis ab und offenbart die Gründe für sein Verbrechen: Während eines Besuches berichtete ihm Pistorius ausführlich von dessen beruflichen Erfolg, woraufhin sich Dressel von seiner Frau später starke Vorwürfe anhören musste. Aus Neid über den Erfolg seines Nachbars wollte er sich rächen. Nach diesem Geständnis wird Dressel schuldig gesprochen und wegen Mordes zum Tode durch das Beil verurteilt. Dagegen erhebt er zwar Einspruch, doch seine Versuche sich selbst zu entlasten, in dem er erst seinen Vater und dann einen Nachbarn als Mittäter beschuldigt, scheitern und verzögern nur das Verfahren. Fast fünf Jahre nach der Tat befiehlt schließlich der preußische König selbst, Friedrich Wilhelm III., „Unserm Oberlandesgericht zu Naumburg für die Vollstreckung dieser Strafe zu sorgen”.
Vollzogen werden sollte die Strafe in Zeitz, womit allerdings einige Probleme einhergingen, insbesondere was den Ort der Hinrichtung anbelangte. Auch der Hof des Schlosses Moritzburg, zur damaligen Zeit Landarmen- und Korrektionsanstalt, war im Gespräch. Der Stadtrat schlug den Schlosshof vor, in der Hoffnung dort die Todesstrafe abseits der Öffentlichkeit ohne Störungen und Exzesse vollstrecken zu können. Letztlich stellte er aber doch den Altmarkt als Hinrichtungsort zur Verfügung. Aufgrund des erwarteten Andrangs musste dieser entsprechend abgesichert werden und umfangreiche Vorbereitungen waren nötig. Zusätzlich zu den eingesetzten Polizisten wurde extra Militär aus Weißenfels abkommandiert: 150 Soldaten der Infanterie und 20 der Kavallerie mit Pferden. Auf Anordnung des damaligen Bürgermeisters wurden unter anderem alle zum Altmarkt führenden Gassen für Fuhrwerke gesperrt und das Beobachten der Hinrichtung von den Dächern unter Androhung von Gefängnisstrafen strengstens untersagt.
Bereits am frühen Morgen des 21. Januars 1840 liefen viele Menschen zum Altmarkt, um sich einen Platz mit guter Sicht auf die Exekution zu ergattern. Das Blutgerüst wurde extra erhöht gebaut – wie eine Bühne. Das Ereignis lockte nicht nur viele Schaulustige der damals etwa 10.000 Einwohner von Zeitz und dessen Umgebung an, sondern auch des damaligen „Auslandes” – Sachsen, Sachsen-Altenburg und Reuß. Ein Zuschauer, der den weiten Weg von Leipzig auf sich nahm, schrieb einen Bericht über die Hinrichtung, der unter anderem im Wochenblatt „Leipzig–Dresdner Eisenbahn” veröffentlicht wurde und das Geschehen gut veranschaulicht: „In geringer Entfernung stand der Delinquent mit Handschellen, blickte frei und offen umher und schien sich mit seiner Umgebung zu unterhalten. Er hatte eine militärische Haltung, […] ich glaube es war völlige Apathie, die höchste Konsternation, die ihn eine wahrhaft edle Todesverachtung zur Schau tragen ließ. […] Von welchen Gefühlen muss ein solcher bestürmt werden im Angesichte des Todes und in Betracht, welche Todesart er erleiden soll. In solcher Situation eine ruhige Fassung zu behaupten, dazu gehören Muth und Standhaftigkeit, […] diese geistige Marter ließ man ihn eine Viertelstunde lang erdulden, bis die Glocke 9 schlug. Mit dem ersten Schlage schritt man zur Ablösung der Handschellen, zum Verbinden der Augen, […] und leichten Schrittes sprang der arme Sünder die ersten Stufen des Schaffots hinauf, so daß ihn der zu seiner Führung Beauftragte kaum noch auf der sechsten Stufe erreichen konnte. Oben angelangt begannen die ferneren furchtbaren Vorbereitungen zur Hinrichtung mit dem Beile, das Niederknieen, das Kopfauflegen auf den Klotz, das Strickebinden an Händen und Füßen, welchem allem der Delinquent sich zuvorkommend und bereitwillig fügte. […] Das Beil blitzte, ein dumpfer Schlag ward hörbar und der Kopf war vom Rumpfe getrennt und der Scharfrichter [Johann Beck aus Querfurt] hatte, wie man sagte den Fünften vom Leben zum Tode gebracht und sich das Doctordiplom erworben. […] der Scharfrichter mit der lauten Frage an das Publikum: ,Habe ich recht gerichtet!´ das Beil in die Höhe hob, und ich murmelte halb unbewusst: ,Sie haben für Gott und den König gerichtet!´ Der Kopf lag da, verzerrt und noch in Zuckungen, jedes einzelne Haar sträubte sich nach und nach zitternd in die Höhe, der Rumpf und der ganze Körper hatte noch eine zitternde, pulsierende Bewegung; mit Schaudern und Entsetzen wandte ich den Blick weg, während der Scharfrichter und Umgebung mit prüfender Miene den Kopf zur Hand nahmen, um die Künstlichkeit des Hiebes zu beurtheilen; […] ein Paar Bret[t]er wurden aufgehoben der Kopf hinuntergeschoben, und der Körper an den Stricken hinterdrein gelassen.”
„Warnung und actenmäßige Darstellung des von Johann Friedrich Hermann Dressel aus Freiburg begangenen Verbrechens, weshalb nach beendigter Untersuchung an selbigem die Todesstrafe zu vollstrecken.“
In einem anderen Artikel heißt es: „Überhaupt scheint man damals die Hinrichtung Dressels trotz des Ernstes der Angelegenheit mehr als eine willkommene Befriedigung der Sensationslust, als eine Art gruselige, blutige Volksbelustigung aufgefasst zu haben.” In einer Zeit, als es noch keine Massenmedien, wie Fernsehen, Radio oder Internet gab, war eine öffentliche Hinrichtung für die Bürger schlichtweg Unterhaltung. Viele nahmen sogar ihre Kinder mit und feierten anschließend zusammen. Zugleich war eine Hinrichtung auch ein Geschäft, so wollte zum Beispiel ein Zeitzer Konditor seine Waren während der Enthauptung Dressels in einer Bude verkaufen – wie bei einem Volksfest. Die Webelsche Buchhandlung, die sich in dem Haus befand, in welchem heute die Stadtbibliothek „Martin Luther” untergebracht ist, bot gleich zwei Publikationen zum Verkauf an:
„Lied bei der an dem Mörder Joh. Friedr. Hermann Dressel aus Freiburg an der Unstrut vollzogenen Hinrichtung durch das Beil auf dem Altenmarkte zu Zeitz.“
Für sechs Pfennige konnte man zum einen das „Lied bei der an dem Mörder Joh. Friedr. Hermann Dressel aus Freiburg an der Unstrut vollzogenen Hinrichtung durch das Beil auf dem Altenmarkte zu Zeitz.“ erwerben. Für die Zuschauer wurde eigens eine Schauerballade geschrieben und gedruckt. Die auch als „Bänkelgesang oder Moritaten” bezeichneten erzählenden Lieder waren seit dem Mittelalter weit verbreitet. Bänkelsänger zogen durchs Land und trugen öffentlich Balladen vor, um darüber meist dramatische Nachrichten, beispielsweise über Verbrechen, zu verbreiten. Zur Illustration nutzten die Sänger oftmals Tafeln mit gemalten Szenen in ungeordneter Reihenfolge, auf die sie dann mit einem Stock zeigten. Insbesondere aber durch das zusätzliche Element der Musik bzw. der Melodie, wurden mittels dieser Lieder, die Geschichten auf eine sehr emotionale Art und Weise erzählt. In Europa wurden dafür Melodien genommen, die jeder kannte – in Deutschland zum Beispiel Melodien von bekannten Kirchenliedern, unter anderem von Bach. Es sollte sich jeder angesprochen fühlen und hineinversetzen können, denn so wie öffentliche Hinrichtungen als mahnendes Beispiel dienten, war auch die Botschaft solch religiöser Balladen: sei gläubig, tue Buße und versuche Sünden zu vermeiden. Meist gab es auch eine Moralstrophe, die nicht selten auf Druck der Obrigkeit noch eingefügt werden musste. Am Ende des Liedes wurden die Verbrecher stets hingerichtet. Das Lied über die Enthauptung Dressels wurde zum Zweck der Abschreckung besonders Jugendlichen empfohlen.
Zum anderen bot die Webelsche Buchhandlung in Zeitz vier Tage nach der Hinrichtung für einen Groschen eine Dokumentation über den Fall des Mörders Dressel zum Verkauf an. Das achtseitige Heft hatte den Titel: „Warnung und actenmäßige Darstellung des von Johann Friedrich Hermann Dressel aus Freiburg begangenen Verbrechens, weshalb nach beendigter Untersuchung an selbigem die Todesstrafe zu vollstrecken.“
Auch der Zeitzer Porträtmaler und Lithograph Ernst Bergner wollte an der Exekution verdienen und schuf ein Porträt von Dressel.
Die Hofbuchdruckerei in Gera nutzte dieses Bild für eine Veröffentlichung ohne Erlaubnis des Künstlers, was zu einem in Zeitungen ausgetragenen Streit führte. Bergner beschwerte sich, dass sein Bild nicht nur geklaut, sondern auch noch seitenverkehrt reproduziert wurde. „Dies ist ein deutliches Zeichen, daß der Herr Verleger des Nachdrucks etwas beschränkten Verstandes gewesen sein muß, da es doch jeder Schulknabe weiß, daß dasjenige, was gedruckt werden soll, links gearbeitet sein muß.“, kritisierte Bergner. Auf die Antwort der Hofbuchdruckerei in der Geraer Zeitung, dass „Sechserbilder“ (im Bezug auf den Preis des Porträts) keine Kunstwerke seien, egal ob man sie rechts oder links herum zeichne, antwortete Bergner in entsprechender Weise wieder im Zeitzer Kreisblatt: „Überhaupt ist es sehr lächerlich, wenn die Hofbuchdruckerei von Kunstwerken spricht; wir haben ja das Vergnügen noch nicht gehabt, und werden es auch nicht erleben, daß von derselben ein Kunstwerk geliefert werden würde“.
Text: Wiebke Havenstein
Fotos/Reproduktionen: © MSMZ