Ohne Kopf und Kufen
Die Geschichte eines Zeitzer Schaukelpferds
Daten zum Glanzstück des Monats Dezember
Spielpferd
ca. 1800-1849
Holz, Leder, Eisen
Maße: 87 x 125 x 39 cm
Inv. Nr.: V/H – 4830
Über dieses Glanzstück
Vor etwa 25 Jahren schenkte Familie Drößler aus Zeitz dieses Schaukelpferd aus Holz dem Museum. Ein Spielzeug, das eine sehr lange und besondere Geschichte hat. Über einen Zeitraum von fast 200 Jahren konnte es fortlaufend an neue Kinder-Generationen weitergereicht werden – doch nur weil sich Menschen die Mühe machten, es zu reparieren, um Kindern eine Freude zu bereiten.
Rudolf Drößler und sein Sohn berichteten, dass schon die Kinder des Arztes und Sanitätsrats Dr. Friedrich Adolf Richter (1831–1899) mit dem Pferdchen spielten. Ihr Vater, Dr. Richter, stiftete der Stadt Zeitz damals 11.500 Mark für wohltätige Zwecke. Damit konnten unter anderem zahlreiche Kinder in Ferienheime fahren und dringend benötigtes Personal in Krankenhäusern eingestellt werden. Als Dank wurde Dr. Richter Ehrenbürger der Stadt Zeitz und eine Straße nach ihm benannt – die Richterstraße am Lindenplatz.
Rudolf Drößler schrieb: „Das Schaukelpferd hat vielleicht schon Friedrich Adolf Richter zum Spielen benutzt. Dann spielten damit die Nachkommen Dr. Richters, so der Enkel und spätere Facharzt für Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten, Dr. med. Ernst Richter, der seine Klinik eine Zeitlang in der Neumarktstraße 12 hatte.“
Um 1930 entdeckte dann der Maurer Wilhelm Büchner das Schaukelpferd im Haus der Familie Richter. Es war stark beschädigt, unter anderem fehlten der Kopf und die Kufen. „Wilhelm Büchner nahm das Schaukelpferd mit nach Hause, um es für den Sohn des Schlossers Max Kessler […] als Weihnachtsgeschenk herzurichten. (Max Kessler ist der Großvater von Rudolf Drößler.) Bei der Reparatur des Schaukelpferdes halfen außer Wilhelm Büchner auch der Zimmermann Gustav Reichardt und Max Kessler mit […]. Gustav Reichardt fertigte den Pferdekopf und die Kufen neu an. Max Kessler versah das Schaukelpferd mit neuer Farbe.“, berichteten Rudolf Drößler und sein Sohn.
In neuem Glanz stand das Schaukelpferd dann unter dem Weihnachtsbaum – zur großen Überraschung für den kleinen Herbert Kessler. Da sein Vater zu dieser Zeit arbeitslos war, hatte er so ein tolles Geschenk niemals erwartet.
Bis in die 1980er-Jahre wurde das Pferd noch von drei nachfolgenden Kinder-Generationen zum Spielen genutzt. Durch die häufige Benutzung hat es jedoch erneut sehr gelitten – bei der Übergabe 1997 an das Museum fehlten ihm sogar Mähne und Schwanz. Heute kann es, wieder vollständig behaart, in unserer Dauerausstellung „Mobiliar und Kunsthandwerk von der Renaissance bis ins 19. Jahrhundert“ besichtigt werden. Es steht in einem Raum, der im Biedermeier-Stil so eingerichtet ist, wie es in den Häusern vor 200 Jahren aussah, also zur Zeit der ersten Besitzer des Schaukelpferds – der Richters. Hier bringt es noch heute so manche Kinderaugen zum Leuchten.
Text: Wiebke Havenstein
Fotos: © MSMZ