Der Blüthner-Flügel
Ein Meisterwerk der Klavierbaukunst
Daten zum Glanzstück des Monats November
Entstehungsjahr: 1896
Maße: H 98 cm, B 154 cm, L 238 cm
Material: Palisanderholz mit Ahornintarsien, Messingbeschläge, Onyxmarmor, gegossene Eisenplatte, Elfenbein, Ebenholz, Schellack
Technik: Aliquot-Patent und Érard-Mechanik
Sammlung: Möbel
Inv.Nr.: V/E – 478
Über dieses Glanzstück
Der Blüthner-Flügel stammt aus dem Jahr 1896 und wurde in der Blüthner-Werkstatt in Leipzig unter der Seriennummer 46 246 gefertigt. Der Überlieferung nach sollte er ursprünglich für den deutschen Kaiser bestimmt sein, gelangte jedoch aus unbekannten Gründen nicht in dessen Besitz und ging stattdessen direkt an den Mühlenbesitzer Rossner in Zeitz über. Bis zur Flucht aus der DDR verblieb das Instrument im Wohnhaus der Familie. Nach der deutschen Wiedervereinigung ermöglichte das Vermögensgesetz die Rückgabe des Flügels und anderer zurückgelassener Objekte an die Alteigentümer, woraufhin das Instrument an die Familie Rossner restituiert wurde. Es wurde später als Leihgabe an das Museum Schloss Moritzburg Zeitz übergeben und steht dort für Konzerte und festliche Anlässe im Großen Festsaal zur Verfügung.
Im Jahr 2000 erwarb die Stadt Zeitz das Instrument, gefördert durch das Land Sachsen-Anhalt. Eine umfassende Restaurierung wurde sowohl von der Firma Blüthner (Innenleben) als auch von dem Diplomrestaurator Matthias Krahnstöver (äußere Hülle) durchgeführt. Diese Arbeiten wurden zusätzlich durch den Rotary Club, den Lions Club Zeitz und private Förderer aus München und der Schweiz unterstützt. Am 10. Juni 2006 fand eine feierliche Übergabe des Flügels an das Museum Schloss Moritzburg statt. Seither ist das Instrument wieder ein wichtiger Bestandteil kultureller Veranstaltungen.
Der Korpus des Flügels ist mit edlem Palisander furniert und mit Ahornintarsien im Deckel akzentuiert. Mit einer Länge von 238 cm, einer Höhe von 98 cm und einer Breite von 154 cm beeindruckt der Flügel durch seine Präsenz im Raum. Stilvolle Messingbeschläge im Empire-Stil verzieren Zarge, Deckel, Klappe, Füße und Lyra, ergänzt durch umlaufende Blattornamente als Viertelstabprofil.
Weitere Verzierungen, darunter Onyxmarmor-Applikationen, zieren das Gehäuse und die prächtig gestalteten Füße mit Löwentatzen. Diese sind vierkantig und mit Kapitellen und Löwenköpfen akzentuiert. Helle Ahornintarsien in einem wellenförmigen, floralen Muster kontrastieren mit dem dunklen, glänzend lackierten Palisanderholz und verleihen dem Instrument ein kunstvolles Erscheinungsbild. Die klare, linear strukturierte Gestaltung wird durch goldfarbene Details wie Rosetten, Lorbeerkränze mit Schleifen, Akanthusblattornamente und Eierstabfriese auf den Onyxmarmorsäulen, betont. Die Pedale sind ebenfalls kunstvoll mit Akanthusblatt-Motiven verziert.
Am vorderen Gehäuse befindet sich eine Darstellung des Pan, des griechischen Hirtengottes und Begleiters des Dionysos. Zudem ist das Bildnis Wolfgang Amadeus Mozarts im Profil dargestellt, umrahmt von geflügelten Fabelwesen wie drachenschwänzigen Pferden und schwebenden Musen mit Lyra, welche die musischen Künste symbolisieren und die kulturelle Bedeutung des Instruments unterstreichen. Die Verzierungen spiegeln die Einflüsse des Klassizismus und des Empire-Stils wider und vereinen repräsentative Ausdrucksformen mit einer strengen, geradlinigen Gestaltung.
Die Klaviatur umfasst 7 ¼ Oktaven und besteht aus Tasten, die mit Elfenbein und Ebenholz belegt sind. Die Érard-Mechanik mit separaten Hammerstielpolstern und eine zusätzliche vierte Saite im Diskant, die Blüthner nach dem Aliquot-Patent integriert hat, verleihen dem Flügel eine außergewöhnliche klangliche Vielfalt.
Der Blüthner-Flügel nimmt durch seine kunstvolle Gestaltung und ornamentale Verzierung im Stil des späten Klassizismus eine herausragende Stellung in der Sammlung ein. Der aufwendig gestaltete Korpus und die technische Innovationskraft machen ihn zu einem einzigartigen historischen und kulturellen Symbol für die Stadt Zeitz und zu einem eindrucksvollen Zeugnis deutscher Klavierbaukunst des späten 19. Jahrhunderts.
Ein Blick auf die Geschichte Blüthners führt auch zum Gründer des Unternehmens:
Julius Ferdinand Blüthner (* 11. März 1824 in Falkenhain; † 13. April 1910 in Leipzig) war der Gründer der berühmten Julius Blüthner Pianofortefabrik. Blüthner, Sohn eines Tischlers, verbrachte seine Kindheit in Falkenhain, das im 19. Jahrhundert dem Kreis Zeitz zugeordnet war. Nach acht Jahren Schulzeit erlernte er zunächst das Möbeltischlerhandwerk bei seinem Vater. Mit sechzehn Jahren begann er seine Lehre bei dem Zeitzer Tischlermeister Joseph Denk und trat im Alter von achtzehn Jahren in die Zeitzer Pianofortefabrik „Hölling und Spangenberg“ ein, was ihm den Einstieg in den Klavierbau ermöglichte.
1853 gründete Blüthner seine eigene Pianofortefabrik in Leipzig und spezialisierte sich auf Instrumente höchster Qualität. Die exzellente Handwerkskunst Blüthners brachte ihm den Status eines Hoflieferanten bei mehreren europäischen Monarchen, darunter Königin Victoria von Großbritannien, Zar Nikolaus II. von Russland und das deutsche Kaiserhaus. Diese Ehrungen trugen maßgeblich zum internationalen Ansehen seiner Manufaktur bei. Nach seinem Tod führten seine Nachkommen das Unternehmen weiter und bewahrten den herausragenden Ruf der Marke Blüthner.
Bereits 1867 wurde die Firma „Blüthner” auf der Pariser Weltausstellung mit dem 1. Preis ausgezeichnet. Eine Ehrung, die auch auf der Gussplatte des im Museum ausgestellten Flügels vermerkt ist. Blüthners bahnbrechende Beiträge zur Klavierbaukunst führten zur Entwicklung eines unverwechselbaren Klangcharakters, des warmen „Blüthner-Tons“. Seine jahrzehntelange Forschung mündete in Modellreihen, die den typischen Klangcharakter bewahrten und gleichzeitig in Größe und Bauweise variierten. Ein Höhepunkt war die Entwicklung des „Aliquotsystems“, das er 1873 patentieren ließ. Dieses System integriert im Diskant eine zusätzliche vierte Saite, um Aliquot- oder Partialtöne zu erzeugen, und verleiht dem Instrument so einen besonders melodischen, gesangreichen Klang. Auch die Stoßzungenmechanik, oder „Blüthner-Mechanik“, die er 1856 patentierte, beeindruckte durch präzise Repetitionsfähigkeit und blieb im Pianofortebau bedeutend. Seine Innovationen legte er gemeinsam mit H. Gretzschel 1872 in einem Lehrbuch des Pianofortebaus nieder, das bis heute als Standardwerk gilt und in unserer Ernst-Ortlepp-Bibliothek verfügbar ist.
Text: Xenia Mikhaylov
© Fotos, Reproduktionen: MSMZ
Abb. Porträt und Firma aus: Daehne, 1928
Abb. Blüthners Mechanik aus: Blüthner/Gretschel, 1921
Literatur:
Ada Eyberg: Blüthner, Julius Ferdinand, in: Neue Deutsche Biographie, Band 2, Berlin 1955, S. 320.
Andräs, Angelika: Eine Hülle für die Augen [Juni 2006], in: Mitteldeutsche Zeitung, Zeitz, S. 10, https://www.mz.de/lokal/zeitz/eine-hulle-fur-die-augen-2646808 (28.10.2024).
Blüthner Klaviersalon: Geschichte, https://www.bluethnerklaviersalon.de/tradition/geschichte (28.10.2024).
Blüthner, Julius Ferdinand/Gretschel, Heinrich: Der Pianofortebau. Theorie und Praxis des Baues der Flügel und Pianinos nebst einer Einführung in die Geschichte des Pianofortes und einem kurzen Abriß der musikalischen Akustik, 4. vollständig neubearbeitete Auflage, hrsg. von Robert Hannemann, Leipzig 1921.
Daehne, Paul: Julius Blüthner, Leipzig. Flügel und Pianos. Zur 75 jähr. Jubelfeier am 7. Nov. 1928, Leipzig 1928.
Knopf, Sabine: Blüthner. Bekannt in aller Welt. Zum hundertfünfzigjährigen Jubiläum der Julius Blüthner Pianofabrik, in: Leipziger Blätter (43), 2003, S. 26–28.